Anka’s Resümee

(3)
Die Tür war hinter Peter ins Schloss gefallen, leise besinnlich.
Auch sie wollte diesen Abend nicht mit einem dumpfen Knall beenden, sondern es klang eher nach einem sanften aufatmen.
Ich ließ mich in den Sessel fallen, legte meine Füße hoch und lächelte nur so für mich.
Was ich den gesamten Abend, warum auch immer, nicht getan hatte, ich tat es jetzt.
Ich zündete mir eine Zigarette an und zog genüsslich an ihr, blies den Rauch aus mir heraus und beobachtete ihn, wie er sich im Zimmer verteilte. Dabei gingen zum Zigarettenqualm meine Blicke quer durch den ganzen Raum.
Ja, sagte ich zu mir, ich kann mit dem, was ich in den letzten zwei Tagen erreicht habe zu Frieden sein. Mein Wohnzimmer war richtig gemütlich geworden und es hatte mit dem Besuch meines neuen Nachbars, seine Feuertaufe bestanden. Er war ja wirklich ein Netter.
Eigentlich hatte ich den nur den ganzen Abend geredet, ihn kaum zu Wort kommen lassen.
Er hat zugehört, verständnisvoll genickt und hier und da eine kurze Bemerkung gemacht.
Also, ich hatte ihn zu geredet, habe von ihm noch nichts in Erfahrung bringen können, außer, dass er Peter heißt und einen kleinen Tabak-Shop in der Randcitylage hatte.
Mehr wusste ich wirklich nicht über ihn.
Das nächste mal, sagte ich auf einmal laut und war selber darüber erschrocken, das nächste mal, werde ich ihn ein paar Dinge fragen.
Obwohl die Pizza doch lecker war, bekam ich Hunger, einen unersättlichen Hunger nach süßen Sachen.
Ich bin halt ein Schleckermäulchen, wie meine Mutter immer zu sagen pflegte.
Also ging ich auf die Suche nach den süßen Dingen des Lebens, eins hatte ich ja nun heute schon kennen gelernt. Ups, hatte ich mich doch gerade dabei erwischt, eine Feststellung zu treffen.
Egal, die Suche nach den weiteren süßen Sachen des Lebens war mir im Moment wesentlich wichtiger.
Da fand ich sie auch schon, K e k s e, die fast zweitwichtigsten Dinge in meinem Leben. Diese ließen das wichtigste in meinem Leben, Sex, momentan in den Hintergrund treten.
Also, Kekse, ich hatte diese bunte Schachtel mit dem leckeren Inhalt endlich gefunden. Ich riss sie auf, feines, zartes Gebäck, mit einer hauchdünnen Schicht Vollmilchschokolade überzogen.
Den ersten legte ich auf meine herausgestreckte Zunge und ließ die köstliche Schokolade auf ihr zerlaufen.
Als ich die Glasur in mir aufgesaugt hatte, zerbiss ich den Keks schnell, um dieses schöne Spiel wieder von vorn beginnen zu können.
Das ganze glich einer Zeremonie.
Ein krümelnder Orgasmus! Ich war mit mir und der Welt sehr zu Frieden. Ich hatte die Einrichtung meiner Wohnung, bis auf kleinere Dinge, geschafft, hatte einen tollen Abend und hatte in diesen ersten Tagen in dieser vernichtend großen Stadt einen neuen Freund gefunden, Peter.
Das Leben kann so schön sein, rief ich laut und begann mir ein Bad einzulassen.
Ich wollte nun, nach meiner Keksorgie meinen Körper nicht zu kurz kommen lassen und freute mich auf ein entspannendes Bad, weit nach Mitternacht.
Es war mein erster Sonntag in dieser großen Stadt angebrochen.
Für diesen Sonntag hatte ich mir sehr viel vorgenommen. Gestern hatte ich schon beim Einkaufen die Kirche entdeckt, die ich zum Sonntaggottesdienst aufsuchen wollte, nur ein paar Schritte von meiner Wohnung entfernt.
Dann musste ich noch unbedingt meine Mutter anrufen, die bestimmt schon sehnsüchtig auf meinen Anruf wartete.

Aber jetzt wartete erst einmal das Bett auf mich. Ich steckte meine Nase wollüstig in die frisch bezogenen Bezüge, kuschelte mich darin ein und schlief sofort, ohne noch einmal über alles nachdenken zu können.

Der Sonntag.

Als ich gegen Acht aufwachte war es noch gar nicht richtig hell. Ich saß traumversunken auf der Bettkante vor meinem Kleiderschrank.
Diesen hatte ich gerade mit meinem Fuß vom Bett aus geöffnet, starrte in ihn hinein, ohne zu wissen, was ich eigentlich anziehen sollte. Das wiederum muss eine ganze Weile gedauert haben, denn meinen nackten Körper überzog ein Frösteln welches mich zum Zittern brachte.
Mit der einen Hand suchte ich nach einen Pullover, mit der anderen nach meinen Zigaretten.
Beides hatte ich gleichzeitig in der Hand, musste also die Zigarette noch einmal weglegen, weil zu frieren unangenehmer war als der Tabakentzug.
So zog ich mir den Pullover über den Kopf und griff in dem Moment, als die Hände den Ärmel verließen sofort wieder nach der Zigarette, brannte sie an und machte einen langen Zug.
Von nun an pendelte ich hektisch zwischen Küche und Schlafzimmer um einmal die Kaffeemaschine in Betrieb zu setzen. Zum anderen meine Kleidungsstücke zusammen zu stellen und wiederum abwechselnd an meiner Zigarette zu ziehen und Kekse in mich hinein zu schieben.
Wenn mich jemand dabei beobachten würde, er käme aus dem Lachen nicht mehr heraus.
Das tat er auch, der alte Mann am Fenster gegenüber.
Er lachte.
Mein Gott, ging es mir durch den Kopf, ich hatte ja keine Gardinen und jeder konnte mich so sehen wie ich nun einmal bin.
Das war mir im Moment auch egal, ich lächelte zurück, verschwand flugs im Schlafzimmer, um nun endlich in die Sachen zu kommen.
Schnell noch Zähne putzen und ab in die Kirche.
Beim Zähne putzen fielen mir noch die schönen Worte über Hoffnung, Glaube und Liebe ein und rezitierte sie laut vorm Spiegel, beobachtete
dabei die Wirkung, die sie in meinen Gesichtsausdruck hinterließen:

Hoffnung, Glauben, Liebe.
Einfach nur Worte?
Hoffnung?
Ich hoffe auf die Beständigkeit
im Leben.
Ich hoffe auf Gesundheit,
auf Frieden, auf Glück.
Glaube?
Ich glaube an Gott.
Ich glaube an Freundschaft,
an Ehrlichkeit im Menschen.
Liebe?
Du bist für mich
Glaube und Hoffnung gleichzeitig.
Du bist mein Leben,
meine Liebe.

Die Kirche, sie war eine sehr große Backsteinkirche, in der Art, wie ich sie im Norden gewöhnt war. Eben nur nicht so groß. Die Stufen zur Empore knarrten, wie in jeder Kirche. Ich nahm mir ein Gesangbuch und setzte mich in die erste Reihe. Von hier aus hatte ich einen guten Blick auf den Altar und die Kanzel.
Der Organist setzte mit den ersten Takten der Musik ein, mich durchströmte eine Wärme und innere Zufriedenheit, wie ich sie schon lange nicht mehr in dieser Form erlebt hatte.
Ich fühlte mich zu Beginn des Gottesdienstes in dieser großen Stadt das erste mal richtig geborgen.

Jetzt wusste ich, dass ich in dieser Stadt angekommen bin.

© Jürgen Rüstau

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