
Im Osten unmöglich – eine überaus (un)freundliche Geschichte
Es sind seitdem mehr als dreißig Jahre vergangen und jeder hat mit dem Westen so seine Erfahrungen gemacht. Ich saß mit Anka im warmen Wohnzimmer auf der Couch und wir kamen auf die längst vergessene Zeit zu sprechen. Kannst du dich noch an die lustigen und bunten Eierbecher aus Plastik erinnern? Ich hatte einen kompletten Hühnerstall, erinnerte sich Anka und holte gleich einen Becher aus dem Küchenschrank. Ja, an diese erinnere ich mich auch noch, aber die werden auch nicht mehr hergestellt. Schade eigentlich, sagte Anka. Aber was gibt es noch nicht mehr?

Eierbecher aus DDR Produktion so wie sie jeder kennt
Was war denn damals alles so anders, außer natürlich die politische Lage. Über diese sprachen wir nicht, denn dies weiß doch jeder. Also, sagte ich, es gibt drei Situationen, welche im Osten überhaupt nicht gingen und die mir jetzt einfielen.
Anka, fragte, und welche wären das? Sie hatte sich auf der Couch aufgerappelt und tat jetzt interessiert. Ich stellte mich jetzt auf eine lange Diskussion ein, aber Anka wartete auf meine Erklärungen, was mich natürlich wunderte.
Hatte ich mich nun zu weit auf dem Fenster gelehnt?
In meinem Kopf ratterte es gewaltig und ich versuchte eine Verbindung zwischen Gehirn und aberwitzigen Mundwerk herzustellen. Wie war das nun damals im Osten? Wo waren denn unsere Grenzen? Als ich darüber nachdachte viel es mir wie Schuppen von den Augen. Bei Grenzen hatte ich auch sofort Bilder. Ich fing umständlich an zu erzählen. Kannst Du Dich noch erinnern, als wir einen Ausflug machten. Wir fuhren ins Vogtland und wanderten von Klingenthal auf den Aschberg. Ach, sagte Anka, dort wo die große Schanze ist. Nein, sagte ich, diese ist auf dem Scheibenberg.
Wir wanderten auf dem Aschberg hoch, entlang der Grenze zu Tschechien. Du hättest an der Grenze gewaltige Angst und warst ganz verstört.
Es war dir richtig unbehaglich. Dort wäre aber nichts passiert. In anderen Himmelsrichtungen hatte uns der Staat Grenzen gesetzt und die zu überwinden hätte tödlich sein können. Also, sagte Anka, hätten wir schon eine Sache, welche im Osten nicht ging. Spätestens jetzt hatte ich ihr Interesse geweckt. Was ging denn noch nicht?
Es war etwas, dass wir verbotener Weise immer im Westfernsehen gesehen haben und was wir bei uns damals gar nicht kannten. Um vom Alltag runter zu kommen, was haben wir damals gemacht? Anka überlegte. Wir haben uns gewaltig zu gelötet. Und wenn es uns da noch nicht gereicht hat?
Anka schaute mich an und verdrehte die schönen großen Augen. Was dann? Im Westen bist du dann zum Dealer deiner Wahl gegangen und hast ein paar Gramm weißes Pulver gekauft, hast es durch die Nase gezogen und warst dann vermeintlich glücklich. Das ist doch eklig, so was durch die Nase, hätten wir nie gemacht. Wie kommst du auf so etwas. Wir waren doch glücklich hin und wieder mit unserem Alk. So etwas bräuchten wir nicht.
Siehst du und deshalb gab es das im Osten nicht. Heute, wenn dir danach ist, gehst du nur auf den Hauptbahnhof, guckst ein wenig dumm und schon sprechen dich mindestens zehn Leute in verschiedenen Sprachen an und fragen dich „brauchst du was? Braucht fast keiner, auch brauchst du diese Leute nicht.
Was gab es im Osten noch nicht, fragte nun Anka.
Etwas ganz Belangloses. Erinnerst du dich noch als ich dich das erste Mal auf der Straße gesehen hatte und ich dir dann hinterher lief. Ich bin dir die ganze Zeit hinterher gelaufen. Ich war amüsiert, sagte Anka und lächelte das süsseste Lächeln der Welt.
Ja, und da lag plötzlich diese Bananenschale mitten auf dem Fußweg und ich rutschte darauf aus und tat mir gewaltig weh.
Siehst du, und deshalb gab es das damals im Osten nicht.
Keine Südfrüchteschalen und deshalb konnte man auch im Osten nicht darauf ausrutschen und sich verletzen.
So schlecht war der Osten dann eben doch nicht.
© Jürgen Rüstau