Illustration: Anke Rüstau
Anka und unsere schönen Herbstabende
Der November verging wie im Fluge. Zu der Tristigkeit der Abende gesellte sich der undurchdringbare Nebel des Morgens und der alltägliche Sprüh-und Nieselregen des Tages. Es war halt der Monat der langen Leseabende, der netten Gesprächsrunden bei Kerzenschein oder einfach nur ineinander kuscheln und dabei sich an den Klängen der Musik ergötzen.
Dabei hatten wir ein Spektrum an Musik gefunden, welches uns gleichauf begeisterte. Zum einem die wunderbaren Balladen von Rosenstolz, die uns regelmäßig zum mitsingen veranlassten. Lass sie nur reden, ein Song der sich mit dem Spießertum im allgemeinen und den Menschen, welche etwas
anders sind, auseinandersetzt. Bei diesen Liedern lagen wir abwechselnd auf dem Boden und überließen uns der Musik, die in uns hineindrang und zum Träumen veranlasste.
Oder wir saßen einfach auf der Couch, legten die Füße auf dem Tisch und spürten den wärmenden Einfluss, welchen der Rotwein auf uns hatte. Das vor genannte Spektrum der uns begeisterungsfähigen Musik spannt sich weiter über Lacrimosa bis Gospel, Nina Hagen. Jedenfalls in dieser Richtung.
So konnten wir stundenlang Musik hören und vor uns hin träumen, ohne das auch nur ein einziges Wort fiel. Die Musik
hatte eine Glocke über uns gestülpt, die jeden äußeren Einfluss verhinderte.
Dabei war Anka so dicht bei mir, dass ich ihre Herztöne hörte, welche sich wiederum in die Musik perfekt einfügten.
Der Trommelwirbel deines Herzens, flüsterte ich leise, ganz behutsam, um diesen Rhythmus nicht zu stören. Sie sagte ja, dass ist der Rhythmus, wo du mit musst und erhöhte gleichzeitig die Frequenz der Schläge. Ihr Atem streichelte dabei sanft meine Wange und ich versank in der Wolke gänzlich, auf der ich gerade schwebte. Entweder lauschten wir der Musik, diskutierten über die Texte oder tauschten unsere Lebenserinnerungen aus.
An diesem Abend hatte ich eine Geschichte zu erzählen. Vor einem Jahr war ich mit einem Mädchen zusammen, eine kurze, schöne aber auch schmerzhafte Beziehung. Sie hieß Katja. Ich hatte sie vor Jahren auf einer Lesung kennen gelernt. Wir hatten damals die ganze Nacht in der Moritz Bastei über Literatur und Kunst diskutiert. Katja studierte Kunst, surrealistische Malerei, nahm es aber meiner Ansicht nach mit alledem nicht so genau, den vom Alter her, müsste sie das Studium eigentlich schon hinter sich haben. Nach dieser langen, heißen Diskussionsnacht hatten wir uns aus den Augen verloren.
Ich war zu diesem Zeitpunkt noch in einer festen Beziehung, war damals nicht bereit diese Nacht mit mehr als Diskussionen fort zusetzen.
Nach der Trennung von meiner Frau sahen wir uns durch Zufall wieder.
Katja sah immer noch so schön aus. Groß, schlank, blond.
In einem kleinen Bistro in der City setzten wir, die vor Jahren begonnen Gespräche fort. Was jetzt begann war eigentlich eine sehr schöne Zeit, welche aber von derartigen Gefühlsschwankungen, depressiven Momenten untersetzt war.
Von himmelhoch jauchzend, bis zum Tode betrübt.
Interessiert dich das überhaupt oder langweile ich dich mit ollen Kamellen? , fragte ich Anka.
Doch, doch, erzähle nur weiter, es interessiert mich, kam prompt ihre Antwort.
Also, ich traf mich das erste mal, nach sehr langer Zeit wieder mit Katja. Ich hatte den Kopf voll mit Alltagsproblemen und war über diese Abwechslung sehr erfreut, war bereit dafür etwas zu tun. Sie freute sich ebenfalls über unsere Verabredung und stand zur vereinbarten Zeit schon vor ihrer Haustür.
Wo geht es denn hin, was machen wir heute? , fragte sie und war ganz aufgeregt. Wir fahren nach Berlin, machen einen Kuhdammbummel, trinken und essen etwas und gehen danach noch tanzen, antwortete ich im selbstverständlichsten Tonfall der Welt, geradeso, als würden wir in das Bistro um die Ecke
gehen. Katja wurde abwechselnd blass und wieder rot und brachte noch unter Schock stehend zum Ausdruck, dass sie sich riesig freue.
Es war gegen 19 Uhr, wir hatten also Zeit und brauchten uns nicht all so sehr zu beeilen. Vor neun brauchten wir nicht in Berlin zu sein, wenn wir was erleben wollten. Auf der Autobahn fing Katja an zu erzählen:
„Ich bin erst vor zwei Wochen aus dem Krankenhaus gekommen, war sehr depressiv und hatte einen Selbstmordversuch mit Tabletten unternommen, aber du siehst ja ich lebe noch“.
Was fragte ich ganz erschrocken, was hast du gemacht?
Ich konnte nicht mehr und wollte einfach nur Ruhe vor allen haben. Aber es klappte nicht, ein Freund fand mich in meiner Wohnung und so kam ich dann auf den schnellsten Weg ins Krankenhaus, wo ich einige Zeit verbrachte und auch Zeit zum
Nachdenken hatte. Lassen wir jetzt das Thema, würgte Katja jede weitere Diskussion ab, reden wir über etwas anderes.
Die Zeit war beim Reden schnell vergangen und wir waren schon in Nimegk angelangt. Dort kannte ich eine gute Raststätte und wir wollten uns erst einmal ordentlich stärken. Die Mövenpick-Marche‘ bot uns einen guten Kaffee und das Essen, welches wir uns vegetarisch zusammen stellten war auch nicht von schlechten Köchen. Eine tolle Atmosphäre, die uns wunderbar auf das Kommende einstellte.
Berlin – es war in der Dämmerung, an einem herrlichen Spätsommerabend.
Die Lichter begannen nach und nach auf zuleuchten und der Kurfürstedamm füllte sich mit Menschen.
Hand in Hand bummelte ich mit Katja von einem zum anderen der üppig ausgestatteten Schaufenster. Wir kamen der
Gedächtniskirche immer näher und es war dunkel geworden. Vor der Kirche gaben wir uns einen langen innigen Kuss und eine besondere Wärme durchströmte meinen Körper. Da war es wieder dieses ganz besondere Glücksgefühl infolge
dessen ich mit Katja weiter durch das nächtliche Berlin schwebte. Bis zum Euro-Center, den Brunnen davor. Katja fing mich an mit Wasser zu bespritzen, was ich gern umgehend erwiderte, wobei sie kreischend in das Innere des Centers verschwand.
Dort wollten wir auch hin.
Im Irisch Pub lief um diese Zeit Live Musik vom aller feinsten und wir konnten hier dieses wohlschmeckende Bier trinken, dessen Namen mir jetzt entfallen ist. Wir tanzten den ganzen Abend, die halbe Nacht, eng umschlungen.
Ganz außer Atem, ließen wir uns auf die Barhocker fallen. Ich schaute Katja in die Augen, strich durch ihr langes blondes Haar und stellte die dümmste Frage des Tages.
Welche Haarfarbe hast du eigentlich? , gleichzeitig ärgerte ich
mich über diese Frage. Aber Katja lächelte mich nur an, zog ihr kurzes Röckchen etwas höher und sagte, schau doch mal. Und ich schaute ins Paradies, da Katja kein Höschen anhatte. So einen roten Kopf habe ich in meinem ganzen Leben noch
nicht bekommen und Katja lachte schrill über ihre gelungene Antwort und ich kannte jetzt auf diese etwas ungewöhnliche Art und Weise ihre originale Haarfarbe.
Es war gegen Zwei Uhr, wir hatten noch keine Lust nach Hause zu fahren. Da nach einem Dienstag ein Mittwoch kam musste ich also heute früh unwiderruflich arbeiten. Aber egal, es war zu schön mit Katja. Was will man da schlafen?
Wir waren in Partylaune und fanden gleich in nächster Nähe eine kleine private Blackmusicdisco. Hier tanzten wir nach allen möglichen und manchmal auch für mich unmöglichen Rhythmen.
Durchgeschwitzt, ausgelaugt, glücklich wäre die gelungene Situations Beschreibung. Ausgelassen und ausgezogen, Katja hatte die Schuhe ausgezogen, machten wir einen Wettlauf zum Auto.
Natürlich ließ ich Katja gewinnen, ich bin ja ein Gentlemen.
Hunger, wir hatten plötzlich unsäglichen Hunger und das morgens halb vier.
Also rein zu Mc Donalds. Jeder vier Mc Ribbs. Gegenseitig stopften wir abwechselnd uns diese dicken Dinger in den Mund. So sahen wir auch aus, der Ketschup war im ganzem Gesicht und teilweise auch auf unserer Kleidung verschmiert.
Ein Bild für die Götter. Ich weiß bloß noch, die Bedienung brachte uns kiloweise Feuchttücher zur Reinigung angeschleppt. Es war richtig lustig.
Als wir wieder im Auto saßen, sagte Katja plötzlich, es war heute so schön mit dir und ganz leise, ich liebe dich.
Diese schönen Worte beflügelten mich und im Tiefflug rasten wir heimwärts.
Katja schlief neben mir auf dem Beifahrersitz und lächelte im Schlaf immerfort.
Bis kurz vor Leipzig hatten wir eine gute Fahrt, die tausend Meter vor der Aus fahrt Leipzig gebremst wurde.
Stau!!
Ich sah die Ausfahrt schon und stand im Stau. Kurz davor war ein LKW in die Leitplanken gerast und es ging keinen Meter mehr weiter. Ende der Fahnenstange, pflegte ich zu sagen. Katja schlief immer noch und merkte von alledem nichts. Als sie nach zwei Stunden erwachte, fragte sie nur schlaftrunken,
„warum hältst du auf der Autobahn?“ Ich erklärte ihr den Sachverhalt, sie schaute auf die Uhr und sagte erschrocken: Es ist halb Acht und du musst doch bis Neun im Geschäft sein. Schaffen wir doch und gleich danach ging es weiter.
Ich setzte Katja zu Hause ab, natürlich nicht ohne eine Verabredung für das kommende Wochenende zu treffen.
Och schön, sprudelte es aus Anka’s Mund. Wie ging es weiter?
Können wir nicht auch einmal was in Berlin unternehmen?
Das können wir sagte ich und irgendwann erzähle ich dir die Geschichte weiter.
„Versprochen?“ , fragte Anka. Versprochen, sagte ich. Gleichzeitig schauten wir erschrocken auf die Uhr. Die Zeit war wieder wie im Fluge vergangen.
© Jürgen Rüstau